top of page
der Vertrauensbote - Nr. 1_23: Übergänge

Übergänge

- zwischen Sorgen und Neugierde

Jeder kennt sie.

Sie beschäftigen uns bei einschneidenden Ereignissen wie Geburt, Einschulung, Berufswechsel und Todesfall. Aber auch unzählige Male während eines normalen Tages beim Anziehen, dem Beenden einer Tätigkeit und beim Nach-Hause-Kommen. Manche Übergänge gelingen uns leicht, sind uns als solche vielleicht gar nicht bewusst. Andere fordern uns heraus. Oder werfen uns sogar aus der Bahn.

Aber wovon hängt es ab, wie wir mit einem bestimmten Übergang zurechtkommen?

Und was macht Übergänge generell zu so einem brisanten Thema?

​

In der letzten Zeit begegnet mir die Thematik der Übergänge in verschiedensten Lebensbereichen.

Der Alltag mit unseren Kindern beispielsweise bietet da ein großes Erfahrungs- und Übungsfeld. Speziell die Übergänge morgens vom Bett bis ins Auto, mittags von Kindergruppen/Büro zum Esstisch und abends beim Schlafengehen verlangen uns regelmäßig Höchstleistungen ab.

An manchen Tagen  hüpfen die Kinder gut gelaunt aus dem Bett, ich begrüße jedes von ihnen bewusst und freue mich an ihnen. Mein Sohn und ich kuscheln noch etwas auf der Couch, während die eine Tochter liest und die andere sich einem Rollenspiel widmet.

Die Großen sind schnell angezogen, packen ihre Sachen ganz selbstverständlich ein und kochen Tee oder sogar Pancakes. Die Jüngste überrascht mich damit, dass sie sich selbst anzieht und mich beim Zähneputzen nicht braucht, sodass ich noch die Wäsche aufhängen kann, die mein Mann netterweise schon rechtzeitig vorher eingeschalten hatte.

Wir haben genügend Zeit, frühstücken zusammen und plaudern, während wir unsere Zwergschafe beobachten, die draußen im Sonnenschein herumlaufen. Die Kinder sind kooperativ und fröhlich, ich bin gelassen und habe das große Ganze im Blick. Friedlich verlassen wir das Haus.

Wie schön kann ein gemeinsamer Start in den Tag sein!

Mutter und Sohn frühstücken fröhlich
Frustrierte Mutter mit Kind.png

* (Hör-)Buchempfehlung:

Dr. Mary Sheedy Kurcinka:

Wie anstrengende Kinder zu großartigen Erwachsenen werden. Der Erziehungsratgeber für besonders geforderte Eltern. mvg Verlag, 2022.

​

Das Buch eröffnet einen sehr wertschätzenden Blick auf die Individualität jedes Kindes, bietet viel Hintergrundwissen und einen reichen Erfahrungsschatz für Eltern in verschiedensten Situationen.

Ein anderes Mal wachen die Kinder schon raunzend auf und als erstes Geräusch des Tages empfängt mich Streit.

Mühsam quäle ich mich aus dem Bett und fürchte den gemeinsamen Morgen. Das Anziehen scheint ein unüberwindbares Hindernis zu sein, weil nur falsches Gewand im Kasten liegt. Alles zwickt, kratzt, rutscht oder hat ein unmögliches Muster. Das Frühstück gestaltet sich als Geduldsprobe, weil nur eklige Lebensmittel da sind und es für unsere jungen Helden unzumutbar erscheint, dass sie nicht einfach Kekse und Schokolade essen können.

Anstatt eines netten Gesprächs darüber, wie es jedem von uns geht und was und an diesem Tag erwartet, verhandeln wir darüber, wo die Grenzlinie zwischen den einzelnen Bereichen der Kinder bei Tisch ist. Um jeden Zentimeter wird erbittert gekämpft.  Jeder „falsche“ Blick ist willkommener Anlass für Zankereien und meine Geduld schrumpft mit jeder Sekunde. Die Zeit ist an einem solchen Morgen für alles zu knapp. Die Kinder wollen sich von ihren Spielen nicht lösen und brauchen scheinbar für jede Kleinigkeit eine Extraeinladung.

Ich schalte bald von der Beziehungsebene um in den nüchternen Funktionsmodus und verheddere mich in unwichtigen Details, was mich dazu bringt, mich über das unordentliche Bücherregal aufzuregen, das schon seit zwei Wochen so aussieht (und jetzt garantiert nicht Priorität hat). Mir fallen nur die Dinge auf, die mein Mann NICHT erledigt hat.

Bis wir endlich alle im Auto sitzen, fühle ich mich abgekämpft und müde. Frustriert glaube ich meinem inneren Kritiker, der mich als unfähige Mutter darstellt, weil ich wieder mal nicht ausreichend auf die wahren Bedürfnisse unserer Kinder eingegangen bin und der unser unharmonisches Familienleben als hoffnungslosen Falls deklariert.

Beim Versuch, unseren familiären Alltag mehr so zu gestalten, dass wir Freude aneinander haben und abends noch Energie übrig ist, hat es mir sehr geholfen, einen Schritt zurück zu machen und alles aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Anstatt mich auf Details zu fixieren und nur das Verhalten korrigieren zu wollen, fragte ich mich, was denn diese Situationen gemeinsam haben:

Was macht es für uns gerade morgens, mittags und abends so herausfordernd?

Was ist an den „guten“ Tagen anders als an schwierigen?

Wie fühle ich mich eigentlich in diesen Situationen? Was brauche ICH?

Und was läuft da bei unseren Kindern ab?

Welche Bedürfnisse stehen hinter ihrem Verhalten?

Was will gesehen werden und braucht Raum?

Mit dem Hintergrundwissen, dass unsere Kinder teilweise sehr temperamentvoll* sind und bestimmte Eigenschaften wie Wahrnehmungsfähigkeit, Beharrlichkeit, Energie und Intensität eine hohe Ausprägung haben, versuchte ich die Situation neu zu bewerten. Langsam wurde mir bewusst, dass es sich bei dem, was uns gerade so forderte, allesamt um Übergänge handelt. Und da kommt oft ganz schön viel zusammen.

Wenn ich genauer hinschaue, was bei so einem Übergang alles mithinein spielt, tauchen Fragen auf wie:

Wie hoch ist mein Energielevel gerade (und das jedes Kindes)?

Welche Pläne hat/hatte jeder von uns für den Tag?

Gibt es genügend Zeit, um sich auf die Veränderung einzustellen?

Was kann ich weglassen, einfacher oder anders gestalten, um Spannung rauszunehmen und weniger Ablenkung zu bieten?

Wo ist vielleicht einfach nur wohlwollendes Verständnis gefragt?

Und was brauche ICH eigentlich?

Was tut mir als Mama JETZT gut, damit ich bereit bin für meine Kinder?

Atme ich? Wie spüre ich meinen Körper? Habe ich Verbindung zum Boden?

Fühle ich mich ausreichend unterstützt?

Bin ich gesehen, wahrgenommen in meinen Bedürfnissen?

Beim neugierigen Hineinspüren in unsere klassischen Stresssituationen fiel mir auf, dass ich mir selbst auch schwer tue mit Übergängen. Meine Tätigkeit zu beenden und rechtzeitig mit der Abendroutine zu beginnen, bedeutet für mich einen Kraftakt, den ich ganz bewusst angehen muss, um dann mit den Kindern präsent sein zu können. Ganz sensibel reagiere ich auch auf Zeitdruck, was gepaart mit scheinbarem Widerstand seitens unserer Kinder leicht explosiv werden kann. Deshalb übe ich mich darin, genügend Freiräume und Puffer einzuplanen und zwischendurch einfach mal zu atmen und den Boden zu spüren.

Lieb zu sein zu mir selbst.

den Boden spüren.png

Mir zuzugestehen, dass ich mich langsam anpasse und nur spontan sein kann, wenn ich mich ausreichend darauf vorbereitet habe (und dass das ok ist!), nimmt sehr viel Druck heraus beim Übergang in neue Situationen. So fällt es mir auch leichter, den Kindern die Zeit zu geben, die sie brauchen, sie nicht zu drängen und ihr jeweiliges Tempo zu respektieren.

Wunder wirkt oft einfach das Aussprechen, was gerade da ist:

​

„Ich habe das Gefühl, ich muss alles alleine machen.“

„Ich wünsche mir einen friedlichen Morgen und bin frustriert, weil wir das heute nicht schaffen.“

„Ich merke, dass Ärger auftaucht.“

„Ich sehe, du brauchst noch mehr Zeit.“

„Das Ankommen fällt dir heute schwer.“

„Nach dem Trubel am Vormittag brauchst du Zeit, um in Ruhe zu spielen, damit du wieder Energie tanken kannst.“

„Mein Tag war anstrengend und ich brauche noch Zeit für ein Gespräch mit Papa.“

Gesehen, gehört und wahrgenommen zu werden mit dem, wie es gerade ist, tut jungen Menschen ebenso wohl wie mir selbst.

Nicht nur diese täglichen Übergänge beschäftigen uns momentan, sondern auch spezielle Veränderungen im Lebenslauf wie Eintritt in die Schule bei unseren Jüngeren und Überlegungen bezüglich Berufswunsch bei unserer Älteren. Da taucht natürlich Freude auf und Neugierde auf den neuen Lebensabschnitt. Aber auch Sorgen, Ängste und Unsicherheiten.

Wieder bin ich eingeladen, zu fragen und zu spüren:

Fortsetzung folgt... :)

...über das Auf und Ab der Gefühle bei großen Übergängen, Hirnforschung und alte Prägungen bis hin zu meinem Herzensthema mit genialen Veränderungsmöglichkeiten...

bottom of page